„La Rouche“ oder „Mehr Fragen als Antworten“

Am 16.01.24 zeigte der DSP Kurs der 13 c unter Leitung von Martin Nelskamp an der Geschwister Prenski Schule die Inszenierung „La Rouche“.

Nach einer kurzen Vorrede begann der Einlass in einen stark abgedunkelten Raum. Orientierung war schwer, das Publikum betrat tastend, schweigend, unsicher den Raum. Ca. 50 Zuschauerplätze waren rund um eine Bar aufgebaut, man saß mitten im Spiel und war bereits hochsensibilisiert. 

Muss „La Rouche“ als „klangvoller Name ohne Bedeutung“ gelesen werden, denn es bedeutet übersetzt aus dem Italienischen lediglich „Die Rüsche“ oder ist er ein Hinweis auf die antisemitische Sekte gleichen Namens? 

Erwarten sollte uns eine postdramatische Inszenierung des Jugendromans „Die Welle“ von Morton Rhue. In diesem Roman geht es um die Frage, wie Faschismus entstehen kann. Ein junger Lehrer (als Vorlage dient eine wahre Geschichte aus den 80er Jahren in den USA) will seinen Schüler*innen „beweisen, dass Anfälligkeit für faschistoides Handeln und Denken immer und überall vorhanden ist…. Doch dieses Experiment gerät außer Kontrolle.“[1]

Da es sich um eine Abschlussarbeit handelte, gab es Vorgaben. Eine war, dass alle Spieler*innen immer auf der Bühne sein müssen. Der Kurs entschied sich für ein Anfangstableau und hielt auch im weiteren Verlauf diese Vorgabe konsequent durch.

Das Tableau löste sich langsam auf. Mit Hilfe eines Lichtspots erwachten die Charaktere zum Leben, nahmen ihre Masken ab und stellten sich selbst kurz vor. 

Dann begann eine abwechslungsreiche schnelle Inszenierung. Die Handlung wurde durch den Einsatz verschiedenster Spieltechniken (chorisches Sprechen, Choreografien, Schattentheater, Diavorführung) unterbrochen. Es gab somit zwei Ebenen. Die einfache normale Bar in der Getränke verkauft, Gespräche geführt, telefoniert wurde und die choreografischen Bilder, die erzählten, wie die Besucher*innen einer Bar ihre Individualität verlieren, Teil einer gesteuerten Masse werden und durch Bloßstellung Angst erzeugt wird.

Anfangs waren es nur Fotos von Füßen, die in den Toiletten der Bar gemacht wurden. Der Fußfetischist „Illja“, der in einen Angestellten der Bar „Amon“ verliebt ist, fotografiert heimlich, sammelt diese Bilder und hütet sie wie einen Schatz. 

Später werden Personen ausgewählt und gezwungen ihre Schuhe auszuziehen. Die Bilder der nackten Füße tauchten dann überall auf. Waren auf jedem Stuhl im Publikum – sie waren „viral“ gegangen. Nicht mehr auslöschbar und damit ein massiver Verlust der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen. 

Höhepunkt der Erniedrigung bzw. der Machtausübung einer kleinen Gruppe ist, als eine Spielerin „Lucie“ gezwungen wird sich auszuziehen.

Doch warum werden die Füße stellvertretend für die Gesichter/Körper genommen? Stehen sie metaphorisch für „auf den eigenen Füßen stehen“ (ich bin unabhängig), für „Bodenhaftung“ (ich bin realistisch) oder wurden sie ausgewählt, weil sie am unverfänglichsten sind? Füße als Metapher für Identität?

Die Bilder werden als Positiv- und Negativbild gezeigt. Eine Reminiszenz an die analoge Fotografie, d.h. als man noch wusste, dass das „Negativ“ das Original ist und es dieses eben wiederum nur einmal gibt? Wieder also die Thematik: Einmaligkeit versus Gleichschaltung und Gruppenzwang. Welche Gefahren stecken in der digitalen Technik?

Die Fußbilder sind der rote Faden im Stück. Thematisch beginnt und endet es damit. Tove, der Barbesitzer, beendet am Schluss das Schreckensszenario, indem er die Bilder einsammelt und verbrennt. Das versöhnliche Ende wird unterstrichen vom musikalischen Highlight. Klara (Klavier und Gesang) und Hannah (Kontrabass und Gesang) spielen und singen „Love came here“  von Llasa De Sela.

Dabei scheinen sich auch Illja und Amon endlich gefunden zu haben. Diese Nebenhandlung dreht sich nämlich um die Liebe eines autistischen Fußfetischisten „Illja“ zu dem Barkeeper „Amon“. Illja trägt einen Brustbeutel und spielt mit stark reduzierter Mimik sehr glaubwürdig diesen seltsamen Charakter. Besonders stark war das performative Schattentheater. Amon zieht sich hinter einem Vorhang um, nur sein Schatten ist zu sehen. Dieses Schattenbild, wird vom „verliebten lllja“ in Worte gefasst. Was eigentlich ein „No Go“ im Theater ist, wird hier zum gelungenen Einfall, weil wieder auf mehrere Deutungsebenen verwiesen wird. Wer regiert wen? Ist der Fetischist ein Voyeur, stellt er sich die Szene nur vor oder wird Amon dabei zur Spielpuppe? 

Trotz dieser fragmentarischen Handlung, begeisterte die 13c die zumeist jungen Zuschauer*innen. Dies gelang vor allem durch die wirklich starken choreografischen Elemente, perfekt abgestimmt zur eingespielten Musik. Besonders in Erinnerung blieb „soir apre soir“ von Mansfielt. TYA und „Our Darkness“ von Anne Clark. Sucht man nach Bruchstücken aus der Vorlage „Die Welle“, so findet man sie am ehesten in den Choreografien. „Macht durch Disziplin“: Hände auf dem Rücken, gerade Haltung, synchrone Bewegungen. 

Auch beeindruckend war das Licht. Die wenigen Lichtpunkte steuerten den Fokus des Publikums und leiteten es sicher durch die Produktion. Toll waren auch die vielen kleinen Lichtpunkte, die durch die Diskokugel erzeugt wurden. Sie kreisten um uns und rückten die Bar in den Mittelpunkt, indem sie eben um diese Mitte an den Wänden entlang liefen. Sowieso wurde jede kleinste Ecke des Aufführungsortes „Studio“ spielerisch genutzt. 

Offene Fragen blieben, so z.B.: Was hat der Fußfetischist mit den „Fußfaschisten“ zu tun? Ist diese Doppelung aus einem Wortspiel heraus entstanden?

Warum lassen sich die Spielerinnen so leicht manipulieren und warum und vor allem wie gelingt es, den Spuk zu beenden. 

Gefallen hat der Bilderbogen (Bezeichnung der Form von Martin) demjenigen, dem es möglich war, sich auf die Stimmung und die Bilder einzulassen. Wer eine in sich schlüssige Geschichte erzählt bekommen wollte, wurde enttäuscht. 

Es ist eine alltägliche Praxis, wenn nicht gar Überlebenstraining für Zuschauer, in Aufführungen die Bedeutungszuweisung aufzuschieben und gerade dadurch das Spektrum möglicher Interpretationen offen zu halten. Wahrnehmung im Theater kann sich dadurch auszeichnen, dass man etwas geschehen lässt, was aufmerksam beobachtet wird, ohne es ad hoc zu begreifen.“[2]

Die Inszenierung dauerte ca. 40 Minuten, es fanden Publikumsgespräche statt, leider konnte ich an keinem teilnehmen. Saß man neben und nicht vor der Bühne/Bar war einiges akustisch nicht zu verstehen.

Danke für die schnelle Bilderabfolge, für die vielen Leerstellen und die Erweiterung der Sehgewohnheiten des Publikums. Insgesamt eine sehr solide Leistung der 13 Spielerinnen und des Spielleiters.

Eva Schulz


[1] Morten Rhue: Die Welle. Ravensburg 1997, Klappentext.

[2] Christel Weiler u. Jens Roselt. Aufführungsanalyse, Tübingen 2017, S. 82.